Anobisität vom Juni, 2011

Neubestimmung des neutestamentlichen Kanons

01.06.2011

Der Kanon des Neuen Testaments inklusive dessen Kriterien hat es über die Jahrhunderte bis heute zu einer relativ festen Konstante geschafft. Auf der Basis der Kriterien Apostolizität der alten Kirche und des lutherischen „was Christum prediget, ist apostolisch“ bzw. die Verweigerung der Aufnahme des Thomasevangeliums in den Kanon nach dem Zweiten Weltkrieg wird bis dato eine stabil geschlossene Schriftensammlung präsentiert. Dennoch gilt diese Schriftensammlung seit der Zeit der alten Kirche permanent als offen.

Folgende Fragestellung steht nach den Textsezierungen der historisch-kritischen Exegese der letzten Jahrhunderte im Raum: Weder die Apostolizität noch das lutherische Merkmal der Bestimmung sind in der Logienquelle, dem Sondergut, den Texten der Gemeindebildungen, den Aussagen aus den Bereichen inner- und außerhalb des Spätjudentums, den Theologien der Endredaktoren der Evangelien und der verschiedenen Aufteilungen in den einzelnen Briefen im Einzelnen nachgewiesen. Außerdem was heißt „was Christum prediget, ist apostolisch“ in den unterschiedlichen theologischen Konzepten aller dieser Schriftenteile und Endfassungen der Schriften?

Auf der Basis der anobischen Interpretation werden die einzelnen Teile eines Textes oder einer Gesamtschrift aufeinander bezogen; d.h. der Text spricht aus sich selbst heraus. Diese hermeneutische Arbeit geschieht frei von dem lutherischen scriptura scriptura interpretata. Der Kern der Texte weist über die Bedingungen der dato-Welt zielsicher auf die post-Welt hin. Texte, die die Bedingungen der dato-Welt erfüllen, blieben außerhalb des Bildentwurfs eines dynamischen Gottes. Als Kriterium kann die Dynamik, aus der dato-Welt in die post-Welt zu gelangen, mit dem Begriff der Göttlichkeit Gottes gefasst werden. Bleibt die Aussage eines kanonischen Textes in den Bedingungen der dato-Welt verhaftet (Was seit der alten Kirche bez. alttestamentlicher Texte bekannt ist.), hebt sich die Göttlichkeit Gottes auf. Die Frustration der dato-Welt erhält eine Perspektive, indem die Göttlichkeit Gottes in die Existenz der Menschen und der Welt eingegliedert wird. Damit befinden sich Mensch und Welt in dem Operationsfeld Gottes. Diese Perspektive wird durch die drei Instrumente der Kairos-Skala (Stufen (4) 5 und 6), der Intentionalitätseinheit und der Immanenten Dialektik (Stufe (2) 3) differenziert formal erfasst.
Auch Äußerungen anderer Kulturkreise, Religionen, Ideologien, Philosophien, säkulare Literaturen, Musik, bildende Kunst, die alltäglichen Interaktionen, gesellschaftliche Entwicklungen, die das vorgestellte Kriterium erfüllen, sind Richtschnuren von der dato- zur post-Welt. Verbleibt die Aussage vor den jeweiligen Endstufen der drei genannten Instrumente oder ist sie sogar rückläufig, scheidet sie als kanonisch aus. Kanon und das Operationsfeld Gottes sind dynamisch.

Folgende Textbeispiele aus dem Neuen Testament sollen vorgestellt werden:
1. Wundergeschichten
a. Heilungswunder: Heilung eines Blinden, Markus 8, 22 ff
Kairosstufe von 5 zu 6, Intentionalitätseinheit vom Blindsein zum Sehen, Immanente Dialektik erst Stufe b zu c danach c. Hier ist eine Stufenform der Dynamik geschildert.
b. Naturwunder: Seebegehung Jesu, Matthäus 14,22 (auch Markus 6,45 ff; Johannes 6,15 ff)
In dem Text soll nur die Begehung des Sees isoliert werden, um die Intentionalitätseinheit mit dem Alten Testament herzustellen. Das Herrschaftsgebiet Jahwes sparte zunächst das Meer aus, das dem Gott Baal gehörte. Jesus dehnt die Herrschaft auch auf das Meer aus. Theologisch kann hier eine sprunghafte Entwicklung beobachtet werden.

2. Gleichnisse
Gleichnis vom verlorenen Sohn, Lukas 15, 11 ff
Die Wiederaufnahme des Aussteigers ist hier vollendet dargestellt. Im Gegensatz dazu ist die Aussage im entsprechenden Text von André Gide rückläufig. Die Einführung eines dritten und jüngeren Bruders, der Geschmack auf das Aussteigen hat und mit dem Zurückgekehrten die Familie verlässt, zeigt deutlich die Notwendigkeit der Textvergleiche außerhalb des Neuen Testaments.

3. Die Einheit von Tod (Kreuzigungstexte) und Auferstehung Jesu, Markus 16, 1 ff; Lukas 24, 1 ff. Zunächst liegt bez. des Todes im Vergleich zum Alten Testament (Leben außerhalb des Lobes Jahwes) nun eine abgeschlossene Interpretation des Menschseins vor. Der Verstorbene ist ein echter Toter.  – Gleichzeitig wird eine Konservierung des Toten unterbunden. Eine Orientierung an dem Toten wird durch eine neue Qualität der Existenz ersetzt.

4. Ehescheidung Markus 10,1 ff (bes. V. 9) und Matthäus 19,1 ff (bes. V. 8 )
Angesichts der deutlich verlängerten mittleren Lebenserwartung und der offenen Persönlichkeitsentwicklungen beider Partner im Verlauf des Lebens kann eine Ehescheidung zum Segen beider Teile werden.

5. Paulus: „Haben – als hätte man nicht“
Hier liegt der Anfang der Überwindung der Bedingungen dieser Welt vor.

6.  Das neue Universum, Offenbarung des Johannes 21,1-5
Innerhalb der neuen Konstruktionen des Universums wird in den Versen 4 und 5 eine negative Position deutlich. Die neue Qualität der Existenz wird inhaltlich positiv jedoch formal negativ ausgedrückt. Hier kann das Neue Testament nachgebessert werden.

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