Anobisität vom März, 2012

Selbstbeschädigung (Automutilation)

01.03.2012

außerhalb der Symptomatik der Borderlinestruktur – ein exemplarischer Fall –

Teil 1

Dieser Text isoliert das Symptom Selbstbeschädigung von der Borderlinestörung, weil dieses Kennzeichen auch außerhalb des genannten Störungsbildes diagnostiziert werden kann. Die Automutilation kann somit als eine eigenständige Diagnose aufgefasst werden. Jedenfalls kann die Selbstbeschädigung stufenweise von (fast) harmlosen Fingernägelkauen über Haarausraufen bis zum Suicid gesehen werden.

Die Mehrheit der Patienten mit Selbstbeschädigung geht gegen sich selbst schädigend einseitig vor, d.h eher vom Erleben der Aggressionen, Überfremdung oder/und Zurückweisung der Außenwelt. Der Aufbau einer notwendigen Gegenstruktur der Selbstbehauptung, der Verteidigung und /oder der Selbstachtung fehlt völlig. Diese Art von Selbstbeschädigung wird eher schmerzfrei und lustbetont erlebt; erst nach Behandlung der Wunde treten Schmerzen auf.

Selbstbeschädigung kann am Körper sichtbar, durch Kleidung verdeckt oder aber auch innerhalb des Körpers (körperinwendig: Abbeißen der Zungenspitze, Aufbeißen der Innenwände der Wangen, Zerstoßen der Mittelhandknochen) nachweisbar sein. Auch kann sie vorgegebenermaßen als sportliche Betätigung willentlich herbeigeführt werden. Ebenfalls kann eine sportliche Übung zunächst vorschriftsmäßig ausgeführt werden, dann jedoch vorsätzlich eine Automutilation zur Folge haben (z.B. Liegestütze mit anschließendem Aufschlagen der Stirn). Kaschierung (Sportübung; Kleidung) der vernarbten Körperstellen ist ein Symptom der Automutilation.

Die Selbstaggression zeigt eine reaktive Handlungsweise, die frei von adäquater und zielgerichteter Antwort gegen die Aggression, Überfremdung und/oder Zurückweisung der Außenwelt ist.

Dieser Text beschreibt folgenden exemplarischen Fall.

Ein junger Patient hat sich mehr als 5 Jahre mit Glasscherben, Rasierklingen oder scharfen Trennmessern selbstbeschädigt. Jede Körperregion war entweder aufgeritzt oder aufgeschnitten. Seine Organisation konnte hoch eingestuft werden. Einen dieser genannten Gegenstände trug er stets bei sich, auch versteckt in einem seiner Turnschuhe. Sowohl einem aktuellen Erleben der Außenwelt als auch einem präsentischen Nacherleben aus der Vergangenheit, das er emotional negativ einstufte, konnte er umgehend nach seiner routinemäßigen Art begegnen.

Während dieser Automutilation war der Patient schmerzfrei und schaute lustbetont, ja orgastisch dem Blutablauf zu. Jedoch nach dieser Art der Selbstbeschädigung und Behandlung der Wunde traten stets Schmerzen auf. Die Wunden heilten relativ schnell.

Das Erleben der Außenwelt, das er positiv einstufte, beantwortete er in gleichem Maße. Aber jetzt traten gleich während der Selbstbeschädigung Schmerzen auf, die erst nach der Behandlung der Wunde langsam abklangen. Beim Blutverlust schaute er weg. Diese Reaktion war frei von der Lustbetonung (psychoanalytisch ausgedrückt: lustunbetont).

Zusammengefasst heißt das, der Patient befand sich außerhalb adäquater Reaktion sowohl bei negativem, als auch bei positivem Erleben der Außenwelt. Eine doppelseitige Reaktion ist seltener. Verteidigung wie Freude und Dankbarkeit gegenüber Mitmenschen waren ihm als adäquate Äußerungen fremd. Sein Verhältnis zur Außenwelt war über das Niveau des technischen Alltagsablaufes hinaus massiv gestört.

Sein Selbstbeschädigungsverhalten hatte Suchtcharakter angenommen, denn dieses Verhalten hatte Folgen, die zum Symptomkreis jeder Suchtart gehören:

gescheiterte schulische und berufliche Ausbildungen, komplizierte familiäre Konstellation (im besagten Fall: Geburt eines Geschwisters im 12. Lebensjahr des Patienten und Erleben der Zurücksetzung, Beginn der Selbstbeschädigung), fehlender Aufbau eines Freundeskreises bzw. einer Partnerschaft. Weitere Merkmale dieses suchtartigen Störungsbildes folgten: Diebstahl, Aufbrechen von Autos und Schwierigkeiten mit der Polizei.

Seine erfolgreichen kriminellen Taten und das Narren der Polizeibeamten, das er mit Freude berichtete, blieben von der Automutilation frei. Das war psychologisch gesehen folgerichtig, denn diese Taten drückten seine erfolgreiche Eigenständigkeit innerhalb dieses Handlungskreises aus. Hier fehlte ja ein direkter positiver oder negativer Einfluß von außen auf ihn.

Die Einflußnahme von außen, die über das Niveau des technischen Alltagsablaufes hinaus sowohl die negative als auch die positive Gefühlswelt erreichten, waren die Quellen der Störung für die selbstbeschädigende Reaktion.

In der psychischen Entwicklung dieses jungen Patienten fehlten die Aufbauten für adäquate Äußerungen auf negative wie positive Erlebnisse. Den Mitmenschen gegenüber Gegenwehr zeigen bzw. Freude oder Dankbarkeit äußern, waren ihm fremd geblieben. Die Erinnerung an derartige Reaktionen aus der Zeit vor der Geburt des Geschwisters war eine Tabula rasa.

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Selbstbeschädigung (Automutilation) außerhalb der Symptomatik der Boderlinestruktur – ein exemplarischer Fall –

01.03.2012

Teil 2

Im Gegensatz zu einer reifen Persönlichkeit, die bei Trauer trauern, bei Freude sich freuen bzw. Dankbarkeit zeigen kann, sucht die Psyche einer Persönlichkeit, bei der der Reifegrad eigentlich erreicht sein müsste, einen Ausweg. Wenn bei einer reifen Persönlichkeit die Trauerarbeit abgeschlossen und die Freude bzw. Dankbarkeit gezeigt werden konnte, tritt die Psyche in ihren Ausgleich zurück.

Die Psyche sucht bei einer verzögerten Persönlichkeitsreife spontan einen Ausweg. Die psychologische Gleichung ist einfach: Die Gefühlswelt strebt einen Ausgleich an, der bei belastenden Situationen lustbetont und bei freudigen Ereignissen schmerzbetont sein muss.

Aber warum geschah die Selbstbeschädigung bei positiven Erleben mit geringerer Häufigkeit und Zeitversetzung? Die vielen gegenseitigen Koppelungen negative Außenwelt – negative Sichtweise des Patienten konnten sich spontan äußern; darauf war er eher eingestellt. Die positiven Erlebnisse waren selten und für ihn überraschend.

Folgende Sequenz ergab sich: freudiges Erlebnis – Danke sagen unterbleibt, jedoch Pause mit introvertierter Freudeäußerung (niemand hörte ihm zu) – danach Selbstbeschädigung mit spontaner Schmerzempfindung.

Der psychotherapeutische Aufbau sah angemessenes Verhalten vor: Verteidigung, Dank sagen und Freude äußern können.

(Im Vergleich zur suchtmäßigen Alkoholeinnahme konnte Gleiches beobachtet werden. Auch hier konnte in den Explorationen der Alkoholkranke festgestellt werden, dass nach belastenden Situationen der Alkoholkonsum einen für den Patienten hohen Stand und damit eine gewisse Zufriedenheit erreicht wurde. Bei Alkoholkranken, die Freude nicht ertragen konnten, wurde Gleiches beobachtet: Ihre Alkoholmenge wurde allerdings etwas niedriger gehalten und eine gewisse Traurigkeit trat ein. In beiden Erlebnisformen wurde der psychische Ausgleich wieder hergestellt.)

Das anobische Geschehen bei dem besagten jungen Patienten wird hinsichtlich a. der Universalien Dasein-Mitsein und Leib-Geist-Psyche und b. der Kairos-Skala auf den Zwischenstufen 1,5 und 4,5 abgebildet. Der Spannungsbogen beträgt 4 Stufen. Da die Stufe 4,5 extrem kurzfristig erlebt wird, liegt das Schwergewicht auf 1,5 mit Ausschlag, dass antwortende Gefühle an sich, jedoch nur in gestörter Form möglich sind. Der Spannungsbogen sagt sowohl eine Ausrichtung als auch eine Blockade aus. Von der Stufe 1,5 bis zu Stufe 4,5 sind es rechnerisch 3 Stufen. Auch kann die Erlebnisstufe 1,5 mitberechnet werden, so dass dann der Spannungsbogen 4 Stufen umfasst. D.h. für den Patienten ist große Anstrengung nötig, eine adäquate Persönlichkeitsreife zu erreichen.

Die Intentionalitätseinheit deckt die Endpole ab:
1. negativer Inhalt in negativer Form – unbeachteter Nichtanerkannter,
negativer Inhalt in positiver Form – zurückgewiesener Zurückgezogener,
2. positiver Inhalt in negativer Form – sich selbstverletzender Unreifer,
positiver Inhalt in positiver Form – sich freuender Wohlfühlender.

Die Einheit drückt deutlich Ursache, Störung und Heilung aus.

In der Immanenten Dialektik vollzieht sich die Automutilation zwischen den Stufen a. und b. Die Beendigung der Blockade und Aufbau adäquater Verhalten- und Erlebensweisen gehen in Richtung Stufe c.

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