Anobische Interpretation

Teil 3

Nun zu dem Text MATTHÄUSEVANGELIUM 2,1 ff. DIE ASTROLOGEN AUS DEM OSTEN oder DIE MESSIANISCHE ERFÜLLUNG IM KINDMYTHOS

Vorbemerkung

Dieser Text enthält viele versteckte Nuancen, die erhellt werden wollen.

1. Die Elemente
a. Stern, b. Astrologen, c. Herodes und die Bevölkerung Jerusalems sowie jüdische Theologen und d. alttestamentliches Zitat, e. der Neugeborene, f. Maria, g. Ortsbestimmung Bethlehem, h. Proskynese mit Geschenkübergabe, (i. Traumanweisung);

2. Die Funktionen

ad 1.a Stern als primäres Verkündungselement der Geburt des jüdischen Königs in der Interpretation als Stern im Osten – außerhalb jüdischen Raumes (V.2), dann Wiedererkennung des Wandelsterns als Richtungsanzeiger (V.9), danach in freiem Umgang mit astronomischer Gesetzmäßigkeit Veränderung des Wandelsterns zum Fixstern als punktgenaue Ortsbestimmung; ausgeschlossen wird die übliche astrologische Deutung der Nativität hinsichtlich einer Charakter- und Schicksalsprognose des Neugeborenen (astrologiefrei; möglicherweise auch antiastrologisch gemeint), eingeschlossen wird eine Deutung der aktuellen Geburt eines Königs der Juden; es fehlt die präzise Zeitangabe der planetarischen Erscheinung; somit bleiben die Astrologen auch Herodes auf dessen Frage nach der Zeiterscheinung schuldig; der Stern wird in der Erzählgestalt astronomisch – astrologisch eigenständig; (6)

ad. 1.b. dem Judentrum Fremden und damit auch außerhalb einer autorisierten Zeugenschaft Stehenden wird ein planetarisches Zeichen gegeben, das sie astrologisch als Geburt des Königs der Juden interpretieren; diese suchen und finden den König der Juden mit Hilfe der Kombination ihrer Sterndeutung (6)

ad 1.c. Herodes und die gesamte Bevölkerung Jerusalems „bringen es nicht auf die Reihe“, das ein Kind-König quasi „vor ihrem Haus“ geboren wurde; die Frage an die Theologen lautet jedoch nach dem Geburtsort des Christus-Messias, (d.) deren Antwort ist, der (erwachsene) Herr Israels wird in Bethlehem geboren und damit wird die notwendige davidische Legimitation erfüllt; (6) im weiteren Verlauf des Textes zielt ihr Interesse an dem langersehnten Kommen ihrer religiös-politischen Zentralfigur nur auf Beratung ab; Verhalten und Aussagen hinsichtlich des zu findenden Objekts sind vorrangig bei König Herodes schwankend: mit der Bevölkerung Jerusalems fühlt er sich in dem status quo gestört, dann möchte er vor dem Kind wie die Astrologen auch zu einer Proskynene bereit sein; was jedoch im folgenden Text unterbleibt; bezüglich der Aussage der aktuellen Geburt eines Königs wechselt Herodes vom (erwachsenen) Christus durch den theologischen Nachweis in Micha 5,1 (erwachsenen) herrschenden Führer über das Volk Israel untermauert zu dem Kind (V.8); hier verknüpft der Text Kind-König mit Erwachsenen-Messias; jedenfalls ist die tragende Aussage Kind (-Messias).

ad 1.d. Finden des Königs mit der jüdisch-theologischen Beratung;

ad 1.g. Ankündigung der Geburt bleibt dem Stern vorbehalten; das alttestamentliche Zitat hat zwei Bedeutungen bezüglich einer genaueren Ortsangabe und einer politisch-religiösen Bestimmung des Königs der Juden: bethlehemitisch-davididische Abstammung; aus der astronomisch-astrologischen Deutung eines Neugeborenen wird durch die herodianische Vorgabe des (erwachsenen) Christus-Messias mit Hilfe der jüdischen Theologen bez. des alttestamentlichen Zitats als einer Erwachsener abgesichert; dieser Vorgang wird der Qualität Stern als aktuelle Verkündigung nachgeordnet; die jüdischen Theologen bleiben ihrer Dogmatik Messias gleich Erwachsener treu; (2)

ad 1.h. kleine oder große Proskynese bleibt offen, jedenfalls Proskynese mit Geschenkübergabe, die wohl eher ein in der hellenistischen Antike üblicher Brauch war, verschiedene kostbare Objekte hochgestellten Neugeborenen zu übergeben; Zeus erhielt zu seiner Geburt goldene Geschenke wegen seiner künftigen Weltherrschaft; dieser Vorgang vollzieht sich vor einem Kind-König als Christus-Messias; der nach dem alttestamentlichen Zitat der Herrscher der Juden ist; (6) auf Grund der dreifachen Interpretation (g.) bleiben nur die dem Judentum Fremde als Subjekt

ad 1.e. dem Objekt königlicher Kind-Christus gegenüber übrig; alttestamentlich-jüdische Erwartung von einem (offenbar) Erwachsenen in Montage mit hellenistischer Vorstellung eines Kindes; auf Grund der Geburt Jesu (V.1) als Voraussetzung wird auf das Objekt der theologischen Montage insgesamt 12-mal hingewiesen – also eine textliche Pontierung auf das Objekt; der eigentliche Monteur Kind-Erwachsener, König-Christus (Messias) (beginnend mit V.4) ist der hellinistisch geprägte zum Judentum konvertierte Herodes als ein fast Einheimischer. (4,5) Die durchgängigen Träger dieser theologischen Montage sind jedoch die Astrologen; hier liegt also eine Gegenüberstellung Astrologen als dem Judentrum Fremde und außerhalb der Zeugenschaft Stehende und Herodes als Jude und autorisierter Zeuge, der allerdings den Weg nach Bethlehem und die Proskynese unterlässt; verbal und sachlich bleibt der Neugeborene in seinem Kindsein und unterlässt gleich nach seiner Geburt jegliche Aktionen, die nur Erwachsene ausüben können. (6)
Pallas Athene, Apollon, Hermes und eventuell auch Pan treten kurz nach ihrer Geburt in das den Erwachsenen zugeschriebene Verhalten ein. Der Text unterlässt für den neugeborenen König der Juden nach dessen Geburt ein sofortiges Über-sich-Hinauswachsen. Verbal wird er im Text 5-mal (mit der Voraussetzung V.1) direkt und indirekt im Verb enthalten ebenfalls 5-mal als Kind bezeichnet, als insgesamt 10-mal. Die Kombination Kind-Erwachsener (Christus) wird in V.4 vollzogen, in V.6 wird auf den Erwachsenen Bezug genommen. Die Gewichtung liegt bei dem Kindsein des Königs. Offenbar benötigen die jüdisch-christlichen Leser im hellenistischen Raum (Syrien?) innerhalb der Pointierung Kind-Erwachsener, König-Christus (Messias) das echte Kindsein. Im Kindsein erfüllt sich die Messiaserfüllung. Damit werden die Pole der Ambivalenz für die jüdisch-christliche Leserschaft im hellenistischen Raum pointiert deutlicher. (6) (Im Lukasevangelium 2, 1ff wird offenbar die theologische Montage als feste Größe vorausgesetzt. Deshalb kann der Jubel ausbrechen.)

ad 1.f. das Schwergewicht in der griechischen Geburtsmythologie liegt bei der Mutter und dem Kind – so auch hier im Text. Aber die Mutterrolle in der griechischen Mythologie wird als eine aktive geschildert. Maria ist hier wie der Neugeborene nur in der darstellenden Position. Auch die Schilderung des Geburtsvorgangs wie gelegentlich im Griechentum unterbleibt. – Die Rolle des Vaters Josef wird ausgespart. Die Vaterrolle ist in der griechischen Mythologie der Geburtserzählungen sehr unterschiedlich: Bei den Geburten Zeus und Poseidon ist sie hinsichtlich der Neugeborenen destruktiv, bei Pan und Palls Athene positiv und bei Apollon, Asklepios und Hermes fehlt sie überhaupt. In unserem Text fehlt sie ebenfalls. Eine eventuelle Gefährdung der wird möglicherweise hinsichtlich Herodes (V.3 und 12) angedeutet, wenn die folgenden Texte redaktionell als angeschlossene gedacht werden. In unserem Text, der zunächst isoliert umlief, hat eine Gefährdung keine Substanz.

(ad 1.i. die Traumanweisung kann eine Überleitung zu den folgenden Texten sein. Jedoch macht. Eigentlich kann der Text vollgültig mit V.11 enden.)

3. Struktur von Form und Inhalt
Der Text basiert auf „positiver Position“. Form: Eine neue theologische Montage wird hergestellt. Inhalt: Fremde akzeptieren das Objekt der neuen theologischen Montage ehrenvoll.
Zwei Nachbemerkungen: 1. Für jüdisch denkende Christen liegt das Neue in dem Kindsein des Messias. 2. Das Neue im hellenistischen Raum bezieht sich auf das authentische Kindsein der Messias.

4. Die Kairos-Skala / Berechnungseinheit
42,5 : 8 = 5,3.
Der Spannungsbogen liegt von 2-6, d.h., sodass das theologische Ziel sich fast in den „trockenen Tüchern'“ befindet. Die Ablaufgestaltung der Perikope ist als Aufbautext für die theologische Montage ganz gut gelungen und inhaltlich als Messiaserfüllung im Kindmythos fast vollendet.

5. Universalien
Der Text wird in das Universal Kulturgebundenheit eingeordnet. Er tendiert stark zu dem Extrem Pluralismus. Zwei Kultur- bzw. Religionskonzepte werden thematisch qualitätsvoll fast deckungsgleich übereinandergelegt, sodass eine echte Neuheit fast vollendet aufgebaut ist.

6. Intentionalitätseinheit
Damit ist die neue Gestaltungsform in ihrer Ambivalenz (mit dem Schwerpunkt Kindsein) fast vollendet. In dem vorliegenden Text vollzieht sich der Aufbau der Montage. (Die vollendete Form liegt erst im Lukasevangelium 2, ff vor. Hier ist nur noch Jubel über den Retter.)

7. Immanente Dialektik
Das Kind muss erst mit dem Erwachsenen und umgekehrt, der König mit dem Christentum (Messias) und ebenfalls umgekehrt identifiziert werden. Der Text liegt zwischen der zweiten und der dritten Stufe. Der Text weist jedoch auch stark auf das echte Kindsein hin. Eine vollkommene Identität (sic.!) liegt noch nicht stabil vor.

8. Anobisität
Die Ambivalenz Kind-Erwachsener, König-Christus (Messias) ist theologisch schon ganz gut erarbeitet. Allgemein ausgedrückt: Das Kind ist passiv, der Erwachsene ist aktiv. In dieser paradoxen Spannung liegt das angebotene Heil. (Dieses Paradox liegt erst voll ausgebildet in der Kreuzigung vor. Der Sterbende, der eigentlich nur noch für sich da ist, ist der Retter der ganzen Menschheit. = Noch pointierter: Der Gestorbene…) In der sich geschlossenen Doppelwertigkeit eines Mythos oder eines Symbols (Paradox, Ambivalenz) liegt die Göttlichkeit Gottes verborgen.

Antwortgarantie auf Ihr Votum: E-Mail: hans-georg.fellecke@freenet.de

This entry was posted on Dienstag, März 1st, 2011 at 00:05 and is filed under Allgemeines. You can follow any responses to this entry through the RSS 2.0 feed. You can leave a response, or trackback from your own site.

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