Anobisität vom März, 2022

Historisch – kritische Arbeit

01.03.2022

Die historisch-kritischen Textanalysen der synoptischen Evangelien (= die ersten drei Evangelien) entbehren selbst bei den kritischsten Exegeten der notwendigen Konsequenz. Die Ergebnisse ihrer Untersuchungen haben verschiedene Quellen herausgeschält: Aussagen des Initiators des christlichen Existenzangebotes, der  sogenannten christlichen Gemeinde, bekannte Sprüche der Umwelt.  Die beiden letzt genannten Quellen wurden Jesus in den Mund gelegt.

Diese Forschungsgegenstände der Theologen sind insgesamt originalfrei und beziehen sich ausschließlich auf Abschriften sogenannter Urtexte. Jedoch fehlen in den Zweit- und Drittschriften ab dem 2. Jahrhundert untereinander die textlichen Übereinstimmungen.

Auch textkritische Ausrichtungen, mögliche Urtexte wiederherzustellen, vermeint man, (sichere) Originale zur Hand zu haben. Diese Texte basieren aber stets auf vorhandenen variablen Abschriften; verschiedene Rekonstruktionen sind möglich.

Die Abschriften sind in der altgriechischen Umgangssprache (koine) verfasst, während die Sprache Jesu das Aramäische war. Also liegen stets nur Übersetzungen vor, die auch deutlich mit unterschiedlichen theologischen redaktionellen Aufbereitigungen vorliegen. Diese theologischen Redaktionen, die sich in den synoptischen Evangelien finden lassen, gehören einerseits verschiedenen Kulturkreisen an (Alter Orient, Spätjudentum, Hellenismus; auch mit Überschneidungen untereinander), und sind andererseits an unterschiedlich soziale und ethnische Bevölkerungsschichten adressiert. Es gibt also eine Höchstzahl an übereinander liegenden und von einander abweichenden Textschichten.

Auf der Grundlage einer angenommenen Zuverlässigkeit der Rekonstruktionen konnte der Kanon des Neuen Testaments hergestellt werden. Diese ehemaligen verlorenen Originale waren Gebrauchstexte für die christlichen Gemeinden; nun avancierten die Abschriften, Rekonstruktionen und Bearbeitungen zu Worten des lebendigen und ewigen Gottes.

Den Lesern der neutestamentlichen Texte ist die direkte Verfügung des ursprünglichen göttlichen Wortes versperrt.

Dieser IST-Bestand korrespondiert mit der Göttlichkeit Gottes und eröffnet das Operationsfeld Gottes, in dem der Gestaltene Gestalter verantwortungsvoll historisch-kritisch-aktuell aufbauend agieren kann.

Hier liegt das Ende des Wortfetischismus aller Couleur und der Beginn des freiheitlichen Prozesses vor, um auf jener anobischen Schicht weiterzuarbeiten.

Die kurzgeschilderte literaturwissenschaftliche Arbeit am Neuen Testament möchte den originalen Initiator des christlichen Existenzangebotes aus den vielfach überlagerten Informationen herausschälen, indem die Aussagen dieses Urhebers von anderen Quellen (Gemeindebildungen; Umweltsprüche) abgesetzt werden können. Hier soll einerseits Jesus von Nazareth als Christus das Glaubenssubjekt seiner Anhänger und andererseits dieses gleichzeitig zum Glaubensobjekt der Christen gemacht werden.

Diese vorgegebene konsequente Forschungsarbeit und deren entsprechenden Ergebnisse basieren ausschließlich auf Spätschriften und Rekonstruktionen. Somit fehlen auch originale Aussagen der Auferstehung, auch wenn diese der eigentliche Anlass zur Bildung der christliche Gemeinde und späterer Kirche geworden ist. Eine sicher verifizierte direkte Verbindung von den Abschriften sowohl zu dem sogenannten Schöpfer der christlichen Religion als auch zu seinen ersten und zweiten Anhängern bzw. den ersten theologischen Autoren der frühesten Gemeinden ist und bleibt utopisch.                                                                                    

Diese Rekonstruktionen oder die Spätschriften gelten als das Wort Gottes.                                                                                  

Christen haben also nur aus der Antike verschiedene schriftliche Spätschriften ab dem 2. Jahrhundert, davon Rekonstruktionen bzw. mündliche aktuelle Aussagen (Bekenntnisse, Predigten) zur Verfügung. Ein verifizierter durchgängig geschlossener Kreis von der Ursache bis zur Gegenwart bleibt ausgeschlossen.                                 

Diese übereinanderliegenden vielfältigen Schichten können einer „Rosienpickerei“ zum Opfer fallen; was kirchen- und theologiegeschichtlich nachgewiesen ist.                                                          

Also, für jeden Nutzer dieser Texte heißt es: Aufgepasst!
Und das ist gut so!                                                                   

Warum ist das gut so?                                                                      

ERSTENS:                                                                                                    
Die vorliegenden Texte bieten in unterschiedlichen Qualitäten Teile der menschlichen Existenz an, die in anobische Lebensentwürfe vorteilhaft eingefügt werden können.            

ZWEITENS:                                                                                                               
Die Übernahme der Aussagen zeigt die anobische Schicht an, in der sich der jeweilige Gestaltener Gestalter befindet, der sich innerhalb der Intentionalitätseinheit zwischen seinem aktuellen Kairos – Standort und seinem möglichen Endpunkt kritisch äußert.

DRITTENS:                                                                                          
Die rekonstruierten neutestamentlichen Texte bzw. die Spätschriften und ihre aktuellen Interpretationen sind Teil einer kulturell-zivilisatorischen Gesamtheit, die ebenfalls die anobische Existenz weiter voranbringen können.                                                  

VIERTENS:                                                                                         
Diese immanente Gesamtheit mit ihren breiten und vielschichtigen Angeboten fördert die Toleranz aller Gestaltener Gestalter. Denn die Immanenz – selbst aus welcher Quelle auch immer – gibt der Anobisität in ihrer Denk- und Handlungsstruktur das vor, womit gearbeitet werden kann.                                                                    

Aus der Welt für die Welt.               

Dieser letzte Abschnitt weist auf die Implikationen gemachter Erfahrungen anderer Gestaltener Gestalter hin, die der aktuelle Nutzer zu seinen Explikationen gestalten kann.

Wie sieht nun das Verhältnis von Implikation und Explikation innerhalb des Vorbildbuches Neues Testament aus?

Nur innerhalb des synoptischen Evanglienblocks ist ein deutlich sichtbares Verhältnis von Implikation und Explikation nachweisbar. Die beiden Seitenreferenten Matthäus und Lukas entwerfen ihre Explikationen weitgehend von den Implikationen des Markus.

Innerhalb der echten und vermeintlichen paulinischen Brief- sowie der johanneischen Literaturgruppe lassen sich genuin eigenständige Explikationen finden.

Prinzipiell bauen alle Schriften das Sachgebiet Christus montiert auf eine Person namens Jesus (von Nazareth) eigenständig aus.

Übertragen auf die Reziprozität des Gestaltenen Gestalters wird eine stärkere Eigenständigkeit des aktuellen Gestalters in seinem freiheitlichen Prozess deutlich. Auch seine Weitergabe an kommende Generationen ist wichtig.

NACHBEMERKUNG                                                                                              
Während der Aufbereitung der neutestamentlichen Schriften zum Kanon trat zu der Sachorientierung auf Christus zusätzlich die die Personengebundenheit Apostolizität.